Geschichte Böhmens/Mühlviertel
(Fritz Fellner, Freistadt)
Vorgeschichtliche Zeit
Die vorgeschichtlichen Fundkarten geben nicht immer genaue Auskunft über die Besiedelungsentwicklung eines Landstrichs. Es ist durchaus möglich, dass auf fundleeren Stellen durchaus eine prähistorische Besiedelung erfolgte. Der Nachweis ist jedoch schwer oder gar nicht zu erbringen. Zu diesen praktisch fundleeren Gebieten gehören auch das nördliche Mühlviertel und große Teile des Böhmerwaldes. Man hat hier undurchdringliche Waldgebiete vermutet, Barrieren, die der Mensch der Frühzeit nicht betreten hat. Aber schon Forscher in den 1930er Jahren haben einen wenn auch zögerlichen Kulturaustausch zwischen dem Donau- und Moldaugebiet nachgewiesen, der nur durch das Mühlviertel und den Böhermwald erfolgt sein kann.
Eiszeit (bis etwa 10.000 v. Chr.)
Der ältesten Funden stammen aus dem beginn der letzten Eiszeit aus der Gegend um Krumau, Aus Kaplitz liegen Anhaltspunkte vor, dass während der Eiszeit sich dort Jäger aufgehalten haben. Möglicherweise stammten diese aus dem Donautal, da man sowohl in Linz als auch in Mauthausen ähnliche Aktivitäten nachweisen konnte.
Jüngere Steinzeit (3.500-1800 v. Chr)
Steinbeile als Einzelfunde wurden entdeckt. Man kann aber nicht genau feststellen, ob diese Menschen Durchzügler, Jäger oder schon ansässige Bauern waren. Südlich des Böhmerwaldes wurden an einigen Orten Steinbeile aus dieser Zeit gefunden:
Haslach
Hinterschiffl
Bad Leonfelden
Windgföll
Etliche haben auf böhmischer Seite eine Entsprechung:
Goldenkron
Holubau
Kaplitz
Bronzezeit (1800-800 v. Chr.)
Aus dieser Epoche lassen sich schon leichter so genannte „Verkehrszangen“ nachweisen. So haben wir ein Bronzeschwert aus Afisl, eines aus Helfenberg und als Pendant zwei von der Höhe, auf der heute die Ruine Wittinghausen steht sowie eine aus Schwarzbach-Suben. Ein eindeutiger Beweis, dass ein Übergang aus dem Mühlviertel in das Moldautal bestanden hat. Das waren alles Depotfunde.
Weitere Funde: eine bronzene Lanzenspitze aus Aigen-Schlägel und natürlich das Messer aus Freistadt. Das könnte beweisen, dass es im Mühltal und über den Kerschbaumer Sattel bronzezeitliche Übergänge gegeben hat. Interessant ist auch der Bronzebarrenfund im Wald bei Kalsching, der ein sicherer Hinweis auf eine rege Handelstätigkeit ist.
Hallstattzeit/Latenezeit (800-15 v, Chr.)
Aus dieser Zeit gibt es im Bereich um Krumau etliche Grab- und Siedlungsfunde, die aber auf Mühlviertler Seite keine Entsprechung haben. Sie reichen aber auch weit in die Latenezeit hinein, was wahrscheinlich mit dem Konservatismus der Bewohner in Zusammenhang steht. Aus dieser Zeit konnten auch die ersten Burgen oder befestigte Ansitze gefunden werden (in der Nähe von Bergreichenstein und Krumau-Holubau aus der säten Latenezeit). Wie haben diese ausgesehen? Auf einem natürlichen, schwer zugänglichen Geländeteil wurde eine kleine Ansiedelung mit Erd. und Pallisadenwällen umgeben. Diese Befestigungen hatten die Funktion einer Fliehburg. Bei Gefahr konnten die Bewohner der Umgebung hier Schutz suchen. Eine besondere Konzentration von Funden stammt aus der späten Latene-Zeit, die hier nach einem Fundort auch Stradonitzer Kultur genannt wird. Diese dauerte bis in 1. nachchristliche jahrhundert. Das Oberösterreichische Pendant ist die latenezeitliche Burg auf dem Gründberg bei Linz. Diese Funde beweisen, dass der Haselgraben eine frühzeitliche Verbindung darstellte. Auch die Route über den Kerschbaumer Sattel war bereits in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten begangen. Wissenschaftler sehen als Pendant zur Lateneburg bei Kaplitz die befestigte Anlagen in der Pernau bei Neumarkt.
Besiedelung in historischer Zeit
Die ersten Seidlungsformen sind die sog. Haufendörfer. die aber im Mühlviertel nur am Südrand gegen die Donau anzutreffen sind. Historiker legen ihre Entstehung in das 6.- 8. Jhdt. Diesen folgen die Straßendörfer und in der Folge die Kirchensiedlungen. Die Kirche nimmt in diesem Fall den höchsten Punkt ein, die Häuser ordnen sich rundherum an . Im 11. Jhdt. erfolgte die Anlage von Angerdörfern mit Längs-, Linsen- oder Dreiecksanger. Im 12. Jhdt. und danach werden sog. Waldhufendörfer angelegt, besondere Verbreitung fanden sie im nördlichen Mühlviertel und im äußersten Südböhmen. Diese Ortschaften enden meist mit -sachlag, -felden, -berg oder -bach.
Als Entwicklungsende sind die Kleinstsiedlungen mit vier bis neun Häusern anzusehen, die meist in Spätrodungsgebieten entstanden sind. Ihre Namen enden mit -ling oder ödt. Die Orte Freistadt und Krumau sind von dieser Entwicklung nicht betroffen, da beide ja als urbs condita gelten.
Südböhmen ist bereits in vorgeschichtlicher Zeit besiedelt worden. Eine richtige Siedlungstätigkeit mit geplantem Vorgehen sind seit dem letzten Viertel des 12. Jahdts. nachweisbar. Wesentlich beteiligt daran waren die Klöster. Witiko, der Stammvater der Witigonen, lebte auch in dieser Zeit. Angeblich hat dieser im Mühlviertel Besitzungen gehabt, u. z. bis zum Oberlauf der Maltsch, dann aber auch in Mittelböhmen und einigen Streubesitz. Diese Herrscherfamilie hatte dann auch im Anschluss großen Einfluss auf dem Hof König Ottokars. Für Südböhmen und die Besiedelung waren aber zwei Institutionen wesentlich verantwortlich: einerseits die beiden Klöster Hohenfurt und Goldenkron und die Familie der Rosenberger. Die Rosenberger zählten zu den bedeutendsten, ältesten, edelsten und einflußreichsten böhmischen Adelsgeschlechtern und ihre Mitglieder übten Ämter am königlichen oder reichskaiserlichen Hof aus, und schrieben sich auf diese Weise oft nachdrücklich in die Geschichte des böhmischen Staates ein. Das Wappen dieses adeligen Geschlechts stellt eine rote fünfblättrige Rose im silbernen Feld dar, die wir bis heute in einem beträchtlichen Teil des gerade von den Rosenbergern beeinflußten Südböhmens antreffen.
Mit dem Untergang des Großmährischen Reiches unter Svatopluk um 900 und der Herrscherzeit des Geschlechts der Premislyden begann die Geschichte des böhmischen Staates. Das frühe 10. Jahrhundert ist die Zeit des Königs und Märtyrers Václav (Wenzel), der zum Landes- und Schutzpatron Böhmens erhoben wurde. Seit dem 13. Jahrhundert waren die böhmischen Könige deutsche Reichsfürsten mit einer bedeutenden politischen Stellung im römisch-deutschen Reich. Gefördert von den Premislyden (Ottokar II., 1253-1278) fassten zu dieser Zeit Deutsche Fuß in Böhmen und die Ostkolonisation begann. Der böhmische König hatte deutsche Bauern, Handwerker und Bergbauspezialisten zur Kultivierung und Rodung der Landschaft in die waldreichen Randgebiete des Landes geholt. Als Mittelpunkt von Handwerk und Handel entstand eine Reihe deutscher Städte und Märkte, Böhmen wurde zweisprachig.
Nach dem Aussterben der Premislyden im Jahr 1306 brach unter Kaiser Karl IV. (1346-1378) aus dem Hause Luxemburg eine Blütezeit Böhmens an. In Prag wurde die erste mitteleuropäische Universität (1348) gegründet. In der Kaiserstadt entstanden die Karlsbrücke und der St.-Veits-Dom. Anhänger der Reformbestrebungen von Jan Hus (1370 - 1415) revoltierten zu Beginn des 15. Jahrhunderts gegen die reiche Kirche und den allmächtigen Adel. Sie wollten eine Beteiligung des Bürgertums am politischen Leben durchsetzen. Während der Hussitische Feldzüge, die auch das böhmische Grenzgebiet heimsuchten, wurden Tausende von Dörfern vernichtet.
Nach der Schlacht bei Mohacs 1526 fallen Böhmen und Ungarn an Österreich. Am 23. Okt. 1526 wird Ferdinand I. zum böhmischen König gewählt. Am 1. Jän. 1527 erließ König Ferdinand die Hofstaatsordnung. Durch sie wurde eine Zentralverwaltung geschaffen, die praktisch bis 1848 hielt. Österreich, Böhmen und Ungarn wurden dadurch enger zusammengeschlossen. Böhmen blieb nun bis 1918 ein Tei der Donaumonarchie. Diese war kein Einzelstaat, sondern immer eine Staatenverbindung, dessen oberste Klammer immer der Kaiser war. Das Zusammenleben wurde durch ein strammes Verwaltungssystem geregelt.
Mit dem Prager Fenstersturz begann im Jahr 1618 der Böhmische Aufstand, der mit der Niederlage des ständischen Heeres in der Schlacht am Weißen Berg endete. Als Prolog zum Dreißigjährigen Krieg siegte der Absolutismus über die adeligen Stände und der Katholizismus über den Protestantismus. Mit der Niederlage am Weißen Berg verlor der böhmische Staat seine Selbständigkeit an die Habsburger. Im Dreißigjährigen Krieg (1618 - 1648) verlor Böhmen etwa ein Drittel seiner Bevölkerung. Das 17. Jahrhundert wird in der tschechischen Geschichtsschreibung unter nationalen, habsburg- und kirchenfeindlichen Gesichtspunkten als eine Epoche der Dunkelheit (tschech.: "temno") bezeichnet, v.a. für die bäuerlichen Grunduntertanen, die sich in einer Welle von Aufständen gegen wachsende Robotverpflichtungen erfolglos wehrten.
Die florierende Wirtschaft schuf im 19. Jahrhundert die Voraussetzung für die Herrschaft des Bürgertums. Bürgerliche Kreise setzen sich mit den Ideen von Goethe und Herder auseinander und rezipierten das demokratische Gedankengut der französischen Aufklärung. So bildete sich erstmals eine Art Nationalgefühl heraus. Dieser Prozess wurde als "nationale Wiedergeburt" (tschech.: "obrození") bezeichnet. Damit kam auch der ausgeprägte Antagonismus zwischen Deutschen und Tschechen zum Tragen, der sich bereits andeutete, als Josef II. Deutsch zur alleinigen Amts- und Kultursprache in den Böhmischen Ländern erheben wollte und in der tschechischen Bevölkerung auf heftigen Widerstand stieß. Bereits vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 bildeten die Tschechen in der Donaumonarchie, die durch den österreichisch-ungarischen Ausgleich in zwei Teile zerfallen war, eine Art Staat im Staate. Sie verfügten über wirksame Herrschaftsinstrumente und eine funktionierende Nationalwirtschaft. Außerdem förderten sie ein national orientiertes Kulturleben.
Nach dem Ersten Weltkrieg zerfiel die österreichisch-ungarische Habsburgermonarchie, so dass 1918 die Erste Tschechoslowakische Republik mit T. G. Masaryk als Präsidenten gegründet werden konnte. Nach 300jähriger Zwangspause hatten die Tschechen die staatliche Souveränität wiedererlangt. Die Deutschen in Böhmen galten jetzt als potentielle Staatsfeinde und nicht mehr wie in den Jahrhunderten zuvor als Teil der böhmischen Nation. Die Erste Tschechische Republik war ein aus dem österreichisch-ungarischen Vielvölkerstaat erwachsener Nationalitätenstaat, in dem die Nationalitätenprobleme ungelöst blieben. Die Deutschen konzentrierten sich als größte Minderheit neben Magyaren, Polen, Ukrainern im sogenannten Sudetenland. An die Stelle von Wien als kulturellem und politischen Gravitationszentrum trat für die Tschechen Prag. Den Deutschen in den sudetendeutschen Randgebieten fehlte ein solcher Integrationspunkt für ihre politische und kulturelle Identität, was den Erfolg der "Sudetendeutschen Partei" (SdP) Konrad Henleins (vorher "Sudetendeutsche Heimatfront" SHF) erklärt. 1935 vereinigte sie bei den Parlamentswahlen zwei Drittel der sudetendeutschen Stimmen auf sich.
1938 errang die "Sudetendeutsche Partei" bei den Gemeindewahlen als stärkste deutsche Partei in der Tschechoslowakei 90% aller deutschen Stimmen. Im gleichen Jahr wurde die Zweite Tschechoslowakische Republik, die sich auf die tschechisch besiedelten Gebieten beschränkte, ausgerufen. Und das Münchner Abkommen verfügte die Angliederung der deutsch besiedelten Randgebiete an das Deutsche Reich. 1939 wurde die Slowakische Republik schließlich unter den Schutz des Deutschen Reiches gestellt und das Protektorat Böhmen und Mähren gegründet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Tschechoslowakei unter kommunistischem Einfluss wieder hergestellt. Der endgültige Wandel vom bürgerlich-demokratischen Staat zur Volksdemokratie vollzog sich aber erst mit dem Wahlsieg der Kommunistischen Partei 1948. Unmittelbar nach Kriegsende begann die gewaltsame, seit 1946 organisierte Vertreibung (tschech.: "odsun" = "Abschiebung") von über drei Millionen Deutschen. In den Folgejahren gingen die meisten Industriebetriebe in Staatsbesitz über und die Landwirtschaft wurde kollektiviert. Nicht-kommunistische Parteien waren in den Verfassungen von 1948 und 1960 nominell verankert, nach sowjetischem Vorbild lag die Staatsmacht jedoch allein in der Hand der Kommunistischen Partei. Die Verfassung von 1960 gab der CSR den Namen einer "Sozialistischen Republik" CSSR. Der Beitritt der Tschechoslowakei zum Warschauer Pakt im Jahr 1955 beendete formal die Selbständigkeit des zuvor bereits nach dem Muster der Roten Armee organisierten Militärs.
Im Prager Frühling (1968) wurden Öffnung und Reform der kommunistischen Partei (Demokratisierung) diskutiert. Nach dem gewaltsamen Ende der Freiheitsbewegung durch den Einmarsch der Roten Armee in Prag "normalisierten sich die Verhältnisse" jedoch rasch wieder unter sowjetischer Kontrolle. Die Krise des Jahres 1989 wurde von zahlreichen Strömungen vorbereitet, die gemeinsam die politische Führung untergruben (z.B. die "Charta 77" und ihre Forderungen nach Meinungsfreiheit). Die Situation eskalierte im Zusammenhang mit der sowjetischen "perestrojka", der Massenflucht aus der DDR über Ungarn und der spontanen Solidarität der tschechischen Bevölkerung beim Zusammenbruch der Kommunistischen Partei. Als Václav Havel im Dezember 1989 zum Staatspräsidenten gewählt wurde, gewannen in der "Samtenen Revolution" (tschech.: "nežná revoluce") am Westen orientierte sozial-politische Strukturen die Oberhand in der Tschechoslowakei. Nationalistische Bestrebungen in der Slowakei führen schließlich im Januar 1993 zur offiziellen Trennung beider Landesteile in eine Tschechische (CR) und eine Slowakische Republik (SR).
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